Zwischen Karlsruhe und StudiVZ
Während das Bundesverfassungsgericht gerade mit dem „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ eine Lücke beim Schutz privater Daten vor behördlicher Überwachung schloss, sprießen am anderen Ende des Internets Plattformen zur weltweiten Selbstdarstellung wie Pilze aus dem Boden.
Das Urteil aus Karlsruhe (Quelle) ist ein Meilenstein bei der Anpassung der verfassungsmäßigen Grundrechte des Einzelnen an die technisierte Gegenwart. Das Gericht kam, sah und schloss die vermeintliche Schutzlücke zwischen der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Online-Durchsuchungen nach den Maßgaben des Landesverfassungsschutzgesetzes aus Nordrhein-Westfalen sind somit verfassungswidrig. Nur unter den strengen Auflagen eines zweistufigen Sicherheitskonzepts zum Schutze des Bereichs der privaten Lebensgestaltung sollen Online-Durchsuchungen zukünftig noch erlaubt sein (Quelle). Dazu bedarf es allerdings „existenzieller Bedrohungslagen“ (Quelle). Ob zur Prävention oder im Zuge der Strafverfolgung Computer ausgespäht werden dürfen entscheidet nun aber im Einzelfall ein Richter. Als Begründung führte das Gericht die heutige Bedeutung des Computers als Mittel zur Persönlichkeitsentfaltung auf (Quelle).
Die Daten auf heimischen Rechnern sind ohne richterlichen Beschluss vernünftigerweise also kein Freiwild für Ermittlungsbehörden und Datenschützer können des Nachts zumindest wieder ein Auge zutun. Kein Gesetz verbietet es dagegen der Polizei die öffentlichen Bereiche des Internets zu durchleuchten. Aus Unwissen, Ignoranz oder der naiven Vorstellung von Anonymität in den Weiten des Netzes gebenviele Menschen zu viel von sich preis, so dass der milchgläserne User bereits heute Realität ist. Und das Glas klärt zunehmend auf.
Eine der größten Gründe und Gefahren liegt dabei in den immer mehr in Mode kommenden sozialen Netzwerken im Internet. Nach SchülerVZ und StudiVZ geht die Holtzbrinck-Gruppe mit meinVZ auf alle diejenigen los, die sich bei ihrer Persönlichkeitsdarstellung im Netz bisher benachteiligt fühlen konnten. Insgesamt hofft man auf 14 Millionen Mitglieder in Deutschland bis zum Jahresende (Quelle). Facebook (bisher vorwiegend in den USA von Bedeutung) plant eine Übersetzung für die deutsche Kundschaft. Dazu MySpace, Xing und unzählige kleinere – oft themengebundene – Ableger. Wer jetzt noch kein Profil von sich im Internet zur Verfügung stellt ist ein zurückgebliebener Einsiedler, ein Niemand in der stetig zusammenwachsenden Welt der Online-Bekanntschaften.
Wer heute mit Freunden, Mitschülern und Studenten Kontakt aufnimmt, tut dies nicht mehr per elektronischer Post. Man hinterlässt eine Art Graffiti an der Hauswand. Und die steht nicht in Hamburg oder Berlin, sondern bei MySpace oder StudiVZ im Internet. (Quelle)
Andy Warhol sagte, die Ästhetik unserer Tage hieße Erfolg. Dieser lässt sich tatsächlich auf vielfältige Weise erringen: Ein Profil im Internet inklusive Fotos vom letzten durchzechten Wochenende ist cool. Eine Online-Pinnwand mit hunderten von Nachrichten von Online-Freunden zeugt von der eigenen Online-Wichtigkeit. Und das wichtigste – all das ist kostenlos!
Doch ist es das wirklich? Vielen scheint nicht bewusst zu sein, dass sie damit den letzten Rest von Privatsphäre aufgeben, den ihnen die Richter in Karlsruhe gerade erst zugesichert haben. Namen, Fotos, Beziehungen untereinander, Unterhaltungen auf elektronischen Pinnwänden statt per Chat oder Mail – all dies sind Informationen, die jedem frei zugänglich sind. Und das kann ein potentieller Arbeitgeber sein oder die Polizei. So erreichen die Verantwortlichen von StudiVZ laut WELT ONLINE wöchentlich rund zehn Anfragen der Gesetzeshüter zur Herausgabe von registrierten Klarnamen (Quelle).
Wer heutzutage noch immer nicht verstanden hat, dass die eigene elektronische Persönlichkeit ebenso schützenswert ist wie die reale, ist im günstigsten Falle mit naiv zu umschreiben und kann auch bedenkenlos die PIN auf seiner EC-Karte festhalten. Das Karlsruher Urteil schützt nämlich nicht vor den Auswirkungen eines unverantwortlichen Umgangs mit den eigenen persönlichen Daten.
Ironischerweise ist es die konservative „ich-brauch‘-das-alles-nicht“-Elterngeneration, die mit ihrem skeptischen Blick auf alles, was jünger als ihre Kinder ist, nie auf die Idee käme, ein Online-Profil von sich zu erstellen oder sonstig Privates in Netz zu stellen. Wozu auch – man hat doch ein Adressbüchlein wo alle Freunde und Bekannten eingetragen sind. Zusammen mit Telefonnummern, von denen nur die Hälfte noch stimmt. Sogar die Karin, mit der man sich 1979 verkracht hat, ist – zwar kräftigen Stiftes durchgestrichen, aber immerhin – noch darin zu finden. Was die wohl heute so macht? Ob die immer noch mit dem Dieter zusammen ist? Der war ja so ein unangenehmer Mensch. Wünschen würde ich ihr das ja. Vielleicht… mmh… ich glaube zwar nicht, aber probieren könnte man es ja mal…. Sohn? Es gibt doch dieses Dings im Internet, wo man Leute finden kann. Kannst du mir da nicht bitte mal kurz helfen?
28. Februar 2008 um 17:02 Uhr
Nun. Ich bin ja im StudiVZ auch kein unbeschriebenes Blatt.
Ich sehe aber zur Zeit kein Problem in diesem Seelenstrip, den ich dort betreibe.
Vielleicht sehe ich das wirklich ein wenig zu naiv.
Jedenfalls regt das schon ein bisschen zum Nachdenken an. Zu der Sparte, die plötzlich ihren Nachnamen oder gar kompletten Namen durch Schwachsinn ersetzen werde ich dennoch so schnell nicht gehören.
Man muss ja leider auch sagen, dass es durchaus positive Eigenschaften mitbringt, welche aber zweifelsohne jederzeit durch konservativere Methoden ersetzt werden könnten.
Wichtig finde ich auch, dass man unterscheiden sollte, zwischen dem User der bedingungslos jedem seine privatesten Daten anvertraut, der sich im VZ so tummelt und dem der wenigstens die – noch zu bewertenden – Privatisierungsmaßnahmen dieser Einrichtung nutzt.
Ferner interessiert mich in der Sache, wie es damit ausschaut wenn man seinen Account löscht. Werden die Daten dann für immer unbrauchbar, oder gibt es dort eine Möglichkeit für ruchlose Gestalten diese irgendwo wieder zu finden.
Alles in allem also ein zweischneidiges Schwert und jeder muss für sich selbst entscheiden, inwieweit er sich diesem Risiko aussetzen möchte. Solange man sich Gedanken über diese macht, ist es jedenfalls noch nicht zu spät – hoffe ich!
3. März 2008 um 21:54 Uhr
Die Abstumpfung der Menschen beginnt doch immer dort, wo man Dinge einsetzt oder nutzt, ohne sie zu hinterfragen, dabei geht es nicht einmal darum genau zu verstehen, wie Dinge beispielsweise technisch realisiert sind. So ist es nicht von Nöten zu wissen, was genau mit der PIN-Nummer einer EC-Karte funktioniert, nachdem man sie in den Automaten eingegeben hat. Dennoch behaupte ich, dass die meisten Nutzer von EC-Karten die unterzeichneten Verträge gelesen haben und sich bewusst sind, dass sie selbst für den Verlust der PIN verantwortlich sind. Schlussendlich werden diese heiligen 4 Ziffern gehütet, schließlich geht es ja um die eigene Kohle! Wieso aber beginnt nun jeder Depp im studiVZ seinen Namen durch arabische Schriftzeichen zu ersetzen? Einerseits ist es in Zeiten, in denen Speicher so günstig ist, dass ich auf meinem Handy ganze Kinofilme sehen kann naiv zu glauben, dass Daten überhaupt noch gelöscht werden, andererseits ist der Name eines Menschen für Werbende das uninteressanteste überhaupt. Wenn ich Namen will, schlage ich das Telefonbuch auf oder kaufe sie mir bei Adressbrokern. Dennoch: ab sofort nenne ich mich im Internet █████ ████████ und „lösche“ mein Geburtsdatum. Produzieren möchte ich mich dennoch, die URL zu meiner Homepage bleibt also drin – war da nicht was mit Impressum und Telemediengesetz? Naja gut, das mit dem Namen war ja nicht so wild – steht auch im Telefonbuch. Aber mein Geburtsdatum fehlt nun schon einmal (Gruppenzugehörigkeit: Jahrgang 82 rocks) und auch sonst gebe ich von meinen Interessen nichts preis: Lieblingsbücher habe ich rausgenommen (Gruppenzugehörigkeit: Harry Potter 4ever) und auch meine Filme verrate ich nicht (Gruppenzugehörigkeit: George Clooney for sexiest man alive). Da fällt mir ein: Wieso bekomm ich eigentlich so viel Werbung? Vor allem habe ich das Gefühl, dass „die“ mehr wissen was mir gefällt, als ich… Schon komisch. Aber mir Gefällt die neue Stereoanlage wirklich. Also flux zu Aral tanken und dann ab zu Real. Da gibt’s Payback-Punkte!
6. März 2008 um 15:25 Uhr
Die Währung des Internet ist Information. Das sollte mittlerweile klar sein.
Ob es bis ins Jahr 2036 gültige Google Cookies oder die im Hintergrund verwursteten Daten aus StudiVZ sind. Letzten Endes muss man sich im Klaren sein, dass alle Daten, die man selbst über sich ins Internet einpflegt vollständig der eigenen Kontrolle entzogen sind. Im Zweifel sind sie als „allgemein bekannt“ zu verbuchen. Selbst wenn Holtzbrinck, Xing, Google & Konsorten absolut vertrauenswürdig wären, bleibt der Punkt der IT-Sicherheit (ein Thema, dass auch britischen Behörden nun mehr nicht ganz so unbekannt sein sollte, und Liechtensteinischen auch nicht). Absolute Sicherheit ist hier ungeachtet der zugrundeliegenden Systemstruktur als Betriebssystemen und Anwendungen in keiner Weise gegeben.
Somit muss im Zweifel angenommen werden, dass jede Information im Internet jedem bekannt sein kann. Was bei weitem noch kein Anlass zu Panik und paranoidem Verhalten ist.
In Anbetracht der schieren Datenmenge muss zur Verwertung dieser Informationen also eine Zuweisung zu einer Identität möglich sein. Wenn man also selbst mit dem Namen Andreas Meier oder John Smith gesegnet ist und aus einer Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern stammt, wird man selbst bei großer informationeller Freizügigkeit kaum Gefahr laufen ein verwertbares Profil abzubilden. Die meisten der Internetnutzer sind jedoch schon von ihrem Namen her recht einzigartig und der Trend durch Herausstechen aus der anonymen Masse ein Bild von sich zu zeichnen, tut sein übriges.
Es hängt demnach vom eigenen Verhalten ab, wie detailgetreu das digitale Profil des eigenen Selbst ist und wie leicht es sich zur realen Person zuweisen lässt.
Im Zweifel muss jedoch angenommen werden, dass jede einzelne Information zum eigenen Selbst, der eigenen Person zuzuweisen ist. Die Chance ist gering, aber sie ist real (vor allem in Anbetracht zukünftiger Entwicklung von Suchalgorithmen, die früher oder später in der Lage sein werden große Mengen von Video und Bildmaterial auf die vorkommenden Personen zu untersuchen).
Mit RFID-Pässen, elektronischen Gesundheitskarten und Vorratsdatenspeicherung werden zudem genügend Möglichkeiten zum illegalen Abgreifen von Daten geschaffen, die die Schnittstelle zwischen digitalen und realen Personen bilden (zum Beispiel über Fotos und IP Adressen in Verbindung mit Zeit und Datum).
Als Handlungsempfehlungen kann ich nur folgende geben:
– Bewegen im Internet in anonymisierter Form (Beispiel: Anmeldung bei Newslettern unter Verwendung von Wegwerf-Email-Adressen)
– alle ins Internet gestellten Informationen sind so zu behandeln wie jene in der Realen Welt
– besonderen Schutz müssen die Schnittstellen (Pässe, Gesundheitskarte, persönliche Daten auf dem Heimcomputer) erfahren
Diese Regeln erscheinen für einen ans Hinterfragen gewohnten Menschen offensichtlich zu sein. Für andere sind die sich daraus ergebenden Konsequenzen abschreckend. Denn wie unsere Welt sich stetig wandelt, so müssen wir auch am Ball bleiben, um zu wissen, worauf wir uns einlassen. Und das geht nicht ohne ausreichende Medienkompetenz, die es sich anzueignen und die es zu pflegen gilt.